Dr. Christine Preißmann fordert: Ressourcen von Menschen mit Autismus sehen
„Verschieden zu sein ist ein Gewinn für alle Menschen. Neben jedem Handicap steht auch ein enormes Potenzial, das gefördert und entwickelt werden kann.“ Mit dieser Aussage plädierte Dr. Christine Preißmann, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin in einer Suchtklinik sowie selbst Asperger-Autistin, dafür, nicht nur die Einschränkungen und Defizite von Menschen mit Autismus zu sehen, sondern hervorzuheben, was sie gut können. Die Autorin mehrerer Bücher zum Thema Autismus betonte, wie wichtig es sei, die Ressourcen von Autisten zu sehen, ihre Liebenswürdigkeit, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. Erst dann sei die Gesellschaft bereit, diese Menschen in ihrer Mitte willkommen zu heißen und passende Rahmenbedingungen für ein besseres Verständnis und Miteinander zu schaffen.
Tipps für das Normale und Alltägliche
Das Interesse an den Ausführungen von Dr. Christine Preißmann zum Thema „Leben mit Autismus – Erfahrungen, Bedürfnisse und Hilfen“ war groß, die vom Autismus-Therapie-Zentrum Paderborn organisierte Veranstaltung in der Aula des Gymnasiums Theodorianum sehr gut besucht. Nach einer Einführung über Autismus und seine Erscheinungsformen beschrieb die Referentin in ihrem Vortrag die Situation von Autisten in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Schule, Arbeit, Beruf, Freizeit, Freundschaft und Beziehungen. Darüber hinaus zeigte sie Hilfen auf, sprach über Stressquellen und Entspannung und erläuterte therapeutische Möglichkeiten.
Über ihr Leben mit Autismus und die Herausforderungen im Umgang mit dieser tiefgreifenden Entwicklungsstörung berichtete Dr. Christine Preißmann aus persönlicher, medizinischer und therapeutischer Sicht. Als Teenager sei sie von ihren Klassenkameraden aufgrund ihrer Andersartigkeit gemobbt worden: Während die Mädchen in ihrer Klasse sich am liebsten über Jungs unterhielten, hätte sie sich für Flugpläne und Weihnachten interessiert. Im Small Talk übers Wetter – außer aus meteorologischen Gründen – sähe sie bis heute keinen Sinn, und wie fest man seinem Gegenüber zur Begrüßung die Hand schüttelt, hätte sie erst von einer guten Bekannten lernen müssen. Dies gälte auch für andere alltagspraktische Tipps zur Körperpflege oder angemessenen Kleidung.
Mehr Offenheit und stärkere Vernetzung
In ihrem Vortrag betonte Dr. Christine Preißmann auch, wie hilfreich geregelte Strukturen und konkrete Anweisungen für autistische Menschen seien und feste Ansprechpartner in der Schule oder am Arbeitsplatz. Zudem hätte sich ihr Verhältnis zu den Kollegen sehr verbessert, seitdem sie mit ihnen offen über ihr Handicap und ihre Auffälligkeiten gesprochen habe. Ihre eigene Diagnose hat sie erst im Alter von 27 Jahren erhalten, das sei eine große Erleichterung für sie und ihre Familie gewesen, denn endlich hätte es eine Erklärung für ihre Auffälligkeiten gegeben.
Für die Zukunft wünscht sich Dr. Christine Preißmann im Sinne aller Menschen mit Autismus mehr Ansprechpartner für Diagnostik, weiterführende Therapien vor Ort, intensivere regionale Netzwerkarbeit zwischen Autisten und anderen Akteuren sowie mehr Beratungsangebote von Betroffenen für Betroffene (Peer-to-Peer-Beratung). Zudem wies sie auf bisher vernachlässigte Schwerpunkte in der lebenspraktischen Unterstützung von Menschen mit Autismus hin, wie zum Beispiel Hilfen bei Partnerschaft, Sexualität und Kinderwunsch, Gesundheit, Autismus im Alter und bei einsetzender Pflegebedürftigkeit sowie individuelle und nicht standardisierte Konzepte zur Barrierefreiheit.
Die Präsentation zum Vortrag von Dr. Christine Preißmann können Sie sich hier als PDF-Datei herunterladen:
Leben mit Autismus (PDF 4,14 MB)