Nicht nur Defizite, sondern den ganzen Menschen sehen!
Anlässlich des Welt-Autismus-Tages organisierte der Regionalverband autismus Ostwestfalen-Lippe e.V. auch in diesem Jahr verschiedene Veranstaltungen, um seine vielfältigen Angebote zur Unterstützung und Förderung von Menschen mit Autismus und ihre Angehörigen in der Öffentlichkeit darzustellen. An seinem Standort in Bielefeld veranstaltete der 1977 als Elterninitiative gegründete Verein wieder einen Filmabend im Kino "Lichtwerk im Ravensberger Park". Über den Dokumentarfilm „LIFE, ANIMATED” erhielt das Publikum einen Einblick, wie Menschen mit Autismus die Welt wahrnehmen.
In ihrer Einführung betonte Bettina Mester, Therapeutin bei der Autismus-Therapie-Zentrum gGmbH in Bielefeld, deren Träger der Verein ist, dass der Film nur ein Beispiel von einem Autisten zeige. Das Verhalten des Protagonisten Owen Suskind, bei dem im Alter von drei Jahren Autismus diagnostiziert wurde, der seine Sprache verlor, aber plötzlich anfing, Dialoge aus Disney-Filmen zu zitieren und darüber letztlich wieder mit seiner Umwelt kommunizierte, ließe sich nicht auf alle anderen Autisten übertragen. „Es geht darum, jeden Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen, seine Ressourcen und Fähigkeiten zu erkennen und zu gucken, was er braucht, um im Leben besser zurechtzukommen und weitestgehend an der Gesellschaft teilhaben zu können“, erläuterte Bettina Mester.
Im Anschluss an den Film beantworteten die Therapeutin und Klienten mit einer Asperger-Diagnose zahlreiche Fragen aus dem Publikum. Wie schon im letzten Jahr berichtete Robert Pähler vom Umgang mit dieser tiefgreifenden Entwicklungsstörung. Der 20-Jährige macht gerade sein Abitur auf dem Oberstufenkolleg in Bielefeld und hat danach einen Ausbildungsplatz als Justizfachangestellter. Er plädierte für mehr Toleranz im Umgang mit Autisten und kritisierte die oftmals fehlende Empathie: „Mein Gegenüber sollte akzeptieren, dass es Situationen gibt, die mich stressen. Aber ich möchte nicht auf meinen Autismus und irgendwelche Defizite reduziert werden.“ Genauso sah es die andere Klientin auch: „Ich wünsche mir Freunde, die Verständnis dafür haben, dass ich bei einer Reizüberflutung so oder so reagiere“, sagte sie.
Auch am Infostand im Kinofoyer war viel los: Die Besucher konnten sich mit Fachkräften vom Autismus-Therapie-Zentrum, Integrationsassistenzdienst FRIDA und Ambulant Betreuten Wohnen über das gesamte Autismus-Spektrum austauschen, Fachliteratur durchblättern und Infomaterial mit nach Hause nehmen. „Der Beratungsbedarf war da. Viele wollten wissen, welche Fördermöglichkeiten es denn für Erwachsene mit Autismus gibt“, schilderte Markus Schneider, Fachliche Leitung beim Integrationsassistenzdienst FRIDA gGmbH, deren Träger ebenfalls der Regionalverband autismus Ostwestfalen-Lippe ist.
An den Standorten Gütersloh und Paderborn hatte der Verein einen Tag der offenen Tür organisiert. Bei bestem Wetter und in entspannter Atmosphäre präsentierten die jeweiligen Teams ihre Arbeit, Netzwerke und Gruppenangebote. In Paderborn stellten sich auch die Mitarbeiter aus Lippstadt vor. „Menschen mit und ohne Autismus sind ganz zwanglos miteinander in Kontakt getreten, und genau das war unsere Intention“, sagte Kirsten Webrink, Leiterin der Autismus-Therapie-Zentren in Paderborn und Lippstadt. Annika Breiter, Fachliche Leitung beim Integrationsassistenzdienst Frida in Paderborn, bestätigte das: „Es war schön, zu sehen, wie sehr die Eltern den Austausch untereinander genossen haben und die Kinder üben konnten, miteinander in Kontakt zu treten. Natürlich ist das auch Sinn und Zweck unserer Gruppenangebote. Aber an so einem Tag wie heute ist die Kontaktaufnahme nochmal niedrigschwelliger“, berichtete sie.
Viele Klienten kamen mit der ganzen Familie. „So konnten sie ihren Geschwistern und Großeltern mal zeigen, wo sie zur Therapie hingehen und was dort eigentlich passiert. Denn für viele ist das ein bisschen so wie eine Wundertüte“, erklärte Christoph Leßmann, Vorsitzender des Vereins. Geschwisterkinder merken, dass Bruder oder Schwester aufgrund der Autismus-Spektrum-Störung oft mehr Aufmerksamkeit bekommen. Daher ist es wichtig zu sehen, dass sie gar nicht neidisch sein müssen: Ob Bällebad, Trampolin oder Malbuch – viele Aktivitäten kennen sie aus ihrer Freizeit und stellen fest, dass es gar nichts Besonderes ist, was ihre Geschwister in der Therapie machen.
Alle Besucher konnten sich die Räumlichkeiten anschauen und über therapeutische Methoden informieren. Besonders voll war es im Musikraum. Andreas Zymny, Therapeut beim Autismus-Therapie-Zentrum Paderborn, nutzt die Musik und verschiedene Instrumente, um Kontakt und Vertrauen zu seinen Klienten aufzubauen, sie zu beruhigen, beim gemeinsamen Spiel ihre motorischen Fähigkeiten zu trainieren sowie ihre Konzentration zu fördern. „In diesem geschützten Umfeld können sie alles ausprobieren, sie müssen sich nicht an Noten und Regeln halten. Hier können sie lernen, eigeninitiativ zu handeln. Das hilft, stereotypische Verhaltensweisen zu lockern“, erläuterte Andreas Zymny.
Auch am Standort Gütersloh war der Tag der offenen Tür ein voller Erfolg. „Viele Klienten konnten ihre Angehörigen mal in Ruhe herumführen. Das ist besonders für diejenigen wichtig, die in Kürze bei uns mit ihrer Therapie starten“, sagte Melanie Esken, die das Autismus-Therapie-Zentrum in Gütersloh leitet. Ihre Kollegin Maren Bohr, Fachliche Leitung beim Integrationsassistenzdienst FRIDA, ergänzte: „Auf diese Weise konnten sie unsere Mitarbeiter in einem anderen Setting kennenlernen: in ihrer Freizeit, nicht in ihrer Funktion als Therapeut, Ansprechpartner für Schulbegleitung oder als Betreuer beim Ambulant Betreuten Wohnen.“
Auch in Gütersloh brachten viele Mitarbeiter ihre Familien mit, um ihnen ihren Arbeitsplatz zu zeigen. „Denn Partner oder Partnerin und die Kinder haben im Alltag ja nicht so viele Berührungspunkte mit dem Thema Autismus“, sagte Elke Pauls-Wittenstein, Therapeutin beim Autismus-Therapie-Zentrum Gütersloh. Für Andreas Meierjohann, der zum Vorstand von autismus Ostwestfalen-Lippe gehört, war die Veranstaltung wichtig, um die Unterstützungsangebote des Vereins für Menschen mit Autismus und für ihre Angehörigen im Kreis Gütersloh bekannter zu machen: „Als Vorstandsmitglied ging es mir aber auch darum, Flagge zu zeigen, Fragen der Mitarbeiter zu beantworten und ihnen meine Wertschätzung für ihre Arbeit entgegenzubringen.“